THE QUICK BROWN FOX JUMPS OVER THE LAZY DOG (2024)

Vielleicht sollte ich ihn zuerst einmal vorstellen. Dass ich das überhaupt tun muss, wirft ein trauriges Licht auf die Zeiten, in denen Sie leben. Die wenigsten von Ihnen werden Mr. Fox* kennen. Einigen Gerüchten seine Person betreffend muss ich sogleich widersprechen. Er ist nicht tot, und er ist kein Fuchs.

Er war aber von unseren Ideen so enttäuscht, dass er sich eigentlich nie wieder äußern wollte. Man sagt von ihm, er sei unsterblich. Das soll ihn und uns trösten. Aber das heißt eigentlich nur, dass er sich nicht an meine Geburt erinnern kann und seinen Tod noch nicht erfahren hat.

Er liebt uns, und wir lieben ihn, und manchmal liebt er uns weniger, und keiner von uns wird so geliebt, wie wir es wollen, weil so etwas unmöglich ist. Manche Dinge kann nicht einmal er ändern.

Allgegenwart ist kein Problem. Man gewöhnt sich daran, alles gleichzeitig zu sehen, und von einer Einzelausstellung zur nächsten Gruppenausstellung kann es spannend werden, weil es neu ist. Aber im Alter verengt man sein Gesichtsfeld und spezialisiert sich und sucht nach kleinen symbolischen Klecksern, wenn einen das Pflichtgefühl packt. Wenn wir meinen, die ganzen Kunstausstellungen hätten unser Mitgefühl fast völlig erlahmen lassen, dann stellen Sie sich mal vor, was Milliarden von Ideen aus ihm gemacht haben. Allgegenwart schien eine wundervolle Idee, als es noch wundervollen Idealismus gab. Heute wirkt sie eher wie der Voyeurismus eines alternden Meisters: das Abbild des Konzeptkünstlers, aber an eine Existenz gefesselt, in der es keine Ideen mehr gibt, an deren Überraschungen ich mich nachts schmiegen könnte, keine Nacht; kein kosuthscher Duktus, an dessen sinusartige Kurve ich mich erinnern könnte, wenn das Alleinsein zur Einsamkeit wird.

Eine der größten Tragödien am Mr.Fox-Sein ist, dass es nur so wenig Geheimnisvolles in der Kunst gibt. Natürlich gibt es ein paar Dinge, die er nicht weiß. Er hat keine Ahnung, was jenseits der unendlichen Leinwand geschieht, und nur eine äußerst vage Vorstellung von der Kraft, die ihn geschaffen hat. Ganz sicher hat er keine Ahnung, was geschehen wird, wenn er nicht mehr ist.

THE QUICK BROWN FOX JUMPS OVER THE LAZY DOG (2)

Sein bedingungsloser Einsatz, seine geniale Oberflächenspannung, seine Demonstration sozialer und kultureller Nähe zum proletarischen Publikum begründeten seine Popularität. Das Leben gleicht einer Arbeit von Mr. Fox in vielen beunruhigenden Beziehungen. Aber Mr. Fox gleicht nur sich selbst. Jeder Ausdruck von Mr. Fox ist eine Geschichte, ein einzigartiges und bis zum Äußersten verdichtetes Drama ohne Worte, oder eben auch nicht. Manchmal passiert nichts Besonderes, dann ist das Drama rein psychologischer Natur. Mr. Fox setzt eine Art absoluter Erfahrung in die Welt.

Mr. Fox trifft aber in seinen Rezipienten auf ein altes Menschheitstrauma; auf einen Doppelgänger mit verkehrten Vorzeichen. Jean-Paul Sartre setzte sich in seiner Kritik der dialektischen Vernunft profund damit auseinander, zu welch frühem Zeitpunkt die Probleme beginnen: „Bei einem Kunstwerk kompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit des Betrachters.“

Eine Geste von Mr. Fox ist eine geschlossene, auf sich selbst bezogene Welt, mit nichts zu vergleichen, außer vielleicht mit jenen Religionen, in denen der Mensch sowohl frei als auch determiniert ist, besessen von einem Willen, der seinem Willen, dem Willen Gottes, gleichgestellt ist.

THE QUICK BROWN FOX JUMPS OVER THE LAZY DOG (3)

In den Arbeiten von Mr. Fox gibt es keine Normalität. Sie wäre unerträglich und beschämend gewesen. Eine Installation von Mr. Fox ist in seinen intensivsten Momenten, seiner Schönheit, seiner Verletzlichkeit und Verzweiflung ein ungebrochenes und machtvolles Werk. Es ist das Leben selbst und kaum bloße Kunst. Bei seinen großen Ausstellungen werden wir Zeugen einer Kommunion der Konzeptkunst mit sich selbst, die über die Psyche der besiegten Weiners, Ashers und Duchamps erfolgt.

„An wenn man sich erinnert, das ist gewesen, und wird rückwärtsgewandt wiederholt, wohingegen die eigentliche Wiederholung sich der Sache nach vorne erinnert“, sagte Kierkegaard, die Ausstellung von Mr. Fox betrachtend. Und Lacan, der Kierkegaard begleitet, merkt an: „Aber vielleicht ist ja der Mr. Fox das Original und alles was es vorher schon gab ist eigentlich die Kopie vom diesem schlauen Fuchs, quasi der ontologische Schatten. Er ist wahrscheinlich das Objekt A. Das Objekt A existiert zwar länger, aber es ist vollkommen leer.“

THE QUICK BROWN FOX JUMPS OVER THE LAZY DOG (4)

Die Wiederholungen von Mr. Fox thematisieren Differenz, die Hervorbringung des Verschiedenen und sind somit keine Kopie wie eine Reproduktion, sondern eine Darstellung von Interaktion.

Damit die Wiederholung nicht zur Kopie wird, anerkennt Mr. Fox den Moment des Verlustes, der die Differenz bedingt. Das nach-vorne-Erinnern holt nicht dasselbe wieder, sie erinnert an das Gleiche, das eben nicht identisch ist, und zeigt damit auch das auf immer Verlorene im Wiederfinden. Die Erinnerung wird zur Trauer um den Verlust. Und vielleicht jagt deshalb Franz in einem halb verwahrlosten Taxi quer durch Bayern.

*Bei Mr. Fox handelt es sich um den Künstler Michael Riedel. „Mr. Fox“ nimmt Bezug auf den Titel der Ausstellung „The quick brown fox jumps over the lazy dog“ von Michael Riedel, die der Autor Florian Waldvogel, Direktor des Kunstvereins Hamburg, 2010 imKunstverein Hamburgkuratierte.

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